Da stehe ich schwer beeindruckt vor dem Bücherregal einer Buchhandlung. Für meinen waldschratigen Verlobten suche ich zu Weihnachten etwas über Bienenhaltung.
Dicke Nachschlagewerke stehen neben kompakten Ratgebern und ich habe die Qual der Wahl.
Merkwürdig: Bis vor wenigen Jahren schien die Hobbyimkerei noch ein Randphänomen zu sein.
Ich nutze die Gelegenheit, auch für mich nach einem Buch zu fragen: "Gibt es etwas Aktuelles zum Thema Trauerreden? Kein Leitfaden, eher etwas lockeres, leichte Lektüre."
Immerhin steigt die Zahl der Kirchenaustritte seit Jahren kontinuierlich und die Nachfrage nach freien, also nichtkirchlichen Bestattungen und Trauerrednern steigt dementsprechend.
Die Verkäuferin vertieft sich in ihren Computer und zuckt dann etwas ratlos mit den Schultern. "Also ein paar Ratgeber gibts schon, den einen könnte ich bestellen…"
Ich bedanke mich, aber den vorgeschlagenen Ratgeber kenne ich längst.
Merkwürdig: Der Tod scheint mir eigentlich kein Randphänomen zu sein.
Umso mehr freue ich mich, als 2020 unterm Weihnachtsbaum Carl Achleitners gerade erst erschienenes Buch Das Geheimnis eines guten Lebens liegt.
Spät abends möchte ich "nur mal kurz reinschauen" - am nächsten Morgen wache ich mit Augenringen auf und das Buch liegt ausgelesen auf dem Nachttisch.
Ganz klar: Der Mix aus unterhaltsamen Anekdoten, ernsten Gedanken und eigenen Erfahrungen hat mich schnell in seinen Bann gezogen.
Wie der Untertitel Erkenntnisse eines Trauerredners vermuten lässt, erzählt Carl Achleitner aus der Perspektive seines Berufs von denkwürdigen Trauerfeiern und Begegnungen mit Angehörigen, die ihn überraschen, berühren und ihn selbst an seiner Tätigkeit wachsen lassen.
Eine platte Ansammlung besonders skurriler Momente oder möglichst tragischer Schicksale ist Das Geheimnis eines guten Lebens indes nicht. Vielmehr spürt Achleitner gerade in vermeintlich alltäglichen Begegnungen fast wie nebenbei den ganz großen Fragen des Lebens nach: Was macht uns Menschen aus? Was zählt wirklich? Und was macht unser Leben zu einem guten Leben?
Die Antworten, die der Autor findet, sind so simpel wie komplex und bilden zugleich die Überschriften seiner Themenblöcke: Allen voran ist da von Liebe die Rede. Auch Freundschaft nimmt einen großen Raum in dem Buch ein, ebenso Humor oder Verzeihen.
Echt jetzt? Das ist das große Geheimnis?
Wie gesagt: So simpel wie komplex…
Dass am Ende unseres Lebens weniger die Erfolge unserer Arbeit zählen als vielmehr die Beziehungen, die wir zu unseren Mitmenschen aufgebaut haben, das ist so bekannt wie der sprichwörtliche alte Hut.
Und doch schafft es Achleitner durch geschickte Verknüpfungen dieser großen Worte mit einzelnen Begegnungen, dass einem diese Erkenntnis noch einmal ganz neu vor Auge tritt und sich das ein oder andere kleine Aha-Erlebnis einstellt. Vielleicht weil er diese Begriffe nicht überhöht, sondern feinfühlig aus den Schichten komplexer Beziehungsgeflechte und ambivalenter Gefühle schält.
Natürlich, da gibt es Menschen wie Traude, über die die Angehörigen nur Gutes zu berichten wissen: Eine "Löwenmama", die das Herz am rechten Fleck hatte und alles für ihre Familie gegeben hat.
Aber da gibt es eben auch die Tonis dieser Welt: Toni, so erzählt sein Sohn dem Trauerredner, sei bei allem auch ein "festes Arschloch" gewesen.
Die in diesem Fall scheinbar widersprüchlichen Gefühlsregungen von menschlicher Enttäuschung durch den Vater im Erwachsenenalter bis hin zu Dankbarkeit für eine glückliche Kindheit zeichnet Achleitner sensibel nach. Nicht als Moralist oder "Oberlehrer", sondern als jemand, der die Angehörigen ehrlich dafür bewundert, ihrem Toni letztlich verzeihen zu können.
Was Achleitners Bericht so lebendig macht, ist nicht zuletzt die Offenheit, mit der er häufig den Bezug zur eigenen Vita herstellt.
So ist die Bewunderung für die Gabe des Verzeihens für ihn umso bedeutungsvoller, als er selbst sich genau damit schwer tut.
Wir erfahren von seiner Kindheit und Jugend mit einem gewalttätigen Vater, lesen, wie der Schauspieler mit Existenzängsten schließlich zum Beruf des Trauerredners kommt. Wir erleben mit, wie ihm manche Ansprachen ganz leicht über die Lippen gehen - während er an anderer Stelle schwitzend und emotional um Worte ringt.
Erst dieser Selbstbezug macht die Erkenntnisse eines Trauerredners wirklich zu Erkenntnissen. Achleitner lernt durch die Beschäftigung mit dem Tod und den Begegnungen mit den Angehörigen. Und er zeigt uns damit ganz nebenbei, wie dies auch uns gelingen kann: Nämlich mit einer gehörigen Portion Humor.
Und da wird es für mich als Trauerrednerin natürlich besonders interessant. Denn auch für mich ist der Tod nichts Erhabenes, dem man am besten mit salbungsvollem Tonfall und ordentlich Pathos begegnen sollte. Wie Carl Achleitner versuche auch ich, authentisch und lebendig vom Leben eines verstorbenen Menschen zu sprechen. Einzelne Jahreszahlen können eine Erinnerungsstütze sein - doch eine Anekdote, die die Schlagfertigkeit des Onkels oder der Schwester veranschaulicht, lässt den Menschen für einen kurzen Moment lebendig werden.
Entscheidend ist, zu erkennen, wo Humor befreiendes Ventil sein kann - und wo er eher fehl am Platz ist.
Carl Achleitner scheint seinen Weg gefunden zu haben, indem er sich auf Menschen einlässt und keinen Trauerfall als "Standard" behandelt: Da darf in einer Trauerzeremonie geweint und zornig die Frage nach dem "Warum" gestellt werden. Da darf aber auch geschmunzelt und sogar gelacht werden. Da darf sogar die Frage gestellt werden, ob man in einer Trauerrede "Arschloch" sagen darf…
Das Geheimnis eines guten Lebens ist eine unterhaltsame, und gleichwohl nachdenklich stimmende Ode an das Leben.
Auf hochtrabende philosophische Ergüsse mag der Leser vergebens warten - mir hat Carl Achleitners Buch vielleicht gerade deshalb so gut gefallen, weil er sich ganz unprätentiös und frei von der Leber weg mit den Themen Tod und Leben auseinandersetzt.
Ein Aufruf, den Tod nicht zu ignorieren und zu fürchten, sondern ihm mit Humor zu begegnen. Um aus ihm für unser Leben zu lernen.
Carl Achleitner:
Das Geheimnis eines guten Lebens. Erkenntnisse eines Trauerredners
edition a GmbH, 2020
gebunden, 217 Seiten
ISBN: 978 3 990 014 370
€ 22,00 (eBook € 16,00)
Carl Achleitner, geboren 1963 in Grieskirchen in Oberösterreich, ist neben seiner Karriere als Film- und Theaterschauspieler seit 2012 als Trauerredner tätig. Mehr als zweieinhalbtausend Menschen hat er in dieser Tätigkeit bereits auf ihrem letzten Weg begleitet und verabschiedet.
(Klappentext)
Comments